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Tierärzte Im Wandel: Arbeitsbedingungen Von Pferde-, Kleintier-, Gemischt- Und Nutztierpraktikern

Tierärzte im Wandel: Arbeitsbedingungen von Pferde-, Kleintier-, Gemischt- und Nutztierpraktikern

Wie sind die Arbeitsbedingungen und die damit verbundene Zufriedenheit praktizierender Tiermediziner in Deutschland?
Am Institut für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie von Prof. Marcus Doherr (Freie Universität Berlin) wurden diese Fragen in einer Dissertation untersucht. Antworten von 1930 praktizierenden Tiermedizinern (9% der Zielpopulation) aus dem Frühjahr 2016 wurden ausgewertet. In diesem Artikel werden insbesondere Unterschiede zwischen Pferde-, Kleintier-, Gemischt- und Nutztierpraktikern verdeutlicht. Weitere Studienergebnisse finden Sie im deutschen Tierärzteblatt 10/2017, in der Berliner und Münchener Tierärztlichen Wochenschrift oder im Veterinary Record Open.

Arbeitszeiten in der Tiermedizin

Insgesamt arbeiteten Tiermediziner signifikant länger als vergleichbare Berufsgruppen in der deutschen Bevölkerung. Vollzeittätige Tiermediziner arbeiteten 50 Stunden in der Woche. Außerdem arbeiteten 47% der Angestellten länger als gesetzlich erlaubt. Vollzeittätige, niedergelassene Tiermediziner verdienten signifikant mehr (Stundenlohn Männer 26€, Frauen 19€) als Vollzeit angestellte Tiermediziner (Bruttostundenlohn Männer 14€, Frauen 13€). Insbesondere bei vollzeittätigen Berufsanfängern (27% verdienten weniger als 8,50€/h) und bei in Universitätskliniken vollzeittätigen Angestellten (51% verdienten weniger als 8,50€/h) kamen Mindestlohnunterschreitungen vor. Als Ursachen für geringe Stundenlöhne wurden unbezahlte Überstunden und nicht kostendeckende Preise diskutiert. Letztere sind möglicherweise auf die vorgeschriebene Gebührenordnung für Tierärzte, kostenlimitierte Klienten, die geringe betriebswirtschaftliche Ausbildung und eine geringe Wertschätzung der eigenen Arbeit zurückzuführen.

 

Wochenarbeitszeit vs. Arbeitszufriedenheit

Mit zunehmenden Wochenarbeitsstunden und sinkendem Stundenlohn sank die allgemeine Arbeitszufriedenheit der Umfrageteilnehmer. Ein gutes Arbeitsklima war allen Umfrageteilnehmern am wichtigsten. Die Arbeitszufriedenheit von Angestellten wurde besonders durch die Zufriedenheit mit den Kollegen und dem Vorgesetzten beeinflusst. Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung waren angestellte Tierärztinnen und Tierärzte sowie niedergelassene Tierärztinnen unzufriedener mit vielen Teilbereichen ihres Lebens (Arbeit, Einkommen, Freizeit, Familienleben, Lebensstandard). Insgesamt 36% der Angestellten und 26% der Niedergelassenen würden ihren Beruf nicht erneut wählen.

 

Abbildung 1 Steckbrief der Praktiker zu Arbeitsumständen und Arbeitsbedingungen aus der Untersuchung Praktiker im Wandel (2016); mediane Angaben

 

Vergleich innerhalb der verschiedenen Bereiche

Im Vergleich zu Praktikern mit anderen Tätigkeitsschwerpunkten hatten Pferdepraktiker einen geringen Bruttostundenlohn und besonders ungünstige Arbeitszeiten (Abbildung 1). Sie arbeiteten am häufigsten nachts, an Sonntagen und in Rufbereitschaft. Pferdepraktiker waren insgesamt unzufriedener als Kollegen mit anderen Tätigkeitsschwerpunkten; besonders unzufrieden waren sie mit ihren Arbeitszeiten, ihrem Familienleben, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mit ihrer Arbeit insgesamt (Abbildung 2 und 3). Pferdepraktiker verbrachten im Vergleich zu anderen Praktikern mehr Arbeitszeit mit der Fahrt auf dem Weg zum Tier (31% ihrer Arbeitszeit). Nur 47% der Arbeitszeit wurde direkt am Tier verbracht. Fahrtwege wurden von einzelnen Umfrageteilnehmern als Ursache für ihre Unzufriedenheit angegeben. Korrekt abgerechnete Fahrtkosten und besser geplante Touren könnten hier eine Lösung sein und zu einer deutlichen Gewinnsteigerung und Verbesserung der Arbeitsqualität in der Pferdepraxis führen. Die Maximierung der Zeit am Tier und das Delegieren anderer Tätigkeiten an Dritte, könnte zur Minimierung der Arbeitszeit beitragen. Tätigkeiten an Dritte zu delegieren ist jedoch nur finanzierbar, wenn die Berechnung der Dienstleistungen (Fahrtzeiten, Nachtarbeit, Sonntagsarbeit) konsequent und kostendeckend durchgeführt werden.

Abbildung 2 Arbeits- und Bereichszufriedenheiten aus der Untersuchung Praktiker im Wandel (2016), mediane Angaben

 

Abbildung 3 Lebens- und Bereichszufriedenheiten aus der Untersuchung Praktiker im Wandel (2016), mediane Angaben

Fazit

Diese Ergebnisse rufen eindringlich zur Diskussion der Arbeitsbedingungen auf und verdeutlichen den Handlungsbedarf des Berufsstandes zur Verbesserung der Zufriedenheit praktizierender Tiermediziner in Deutschland. Die Arbeitsbedingungen und Zufriedenheiten praktizierender Tiermediziner können verbessert werden, indem die Wochenarbeitsstunden reduziert, das Einkommen erhöht, das Arbeitsklima und die Zufriedenheit mit den Vorgesetzten verbessert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Arbeitsplatzgestaltung an Bedeutung gewinnt. Handlungsempfehlungen für Universitäten könnte die Veränderung der Ausbildungsvoraussetzungen (Praktikum vor Beginn des Studiums), der Auswahlkriterien (Resilienz, emotionale Intelligenz) und der Ausbildungsschwerpunkte (verbesserte „Ersttageskompetenzen“, Kommunikation und Betriebswirtschaftslehre) sein. Im Berufsalltag praktizierende Tiermediziner könnten z.B. die Dokumentation der Arbeitszeit, die Reduzierung der Arbeitstage pro Woche, die Maximierung der Arbeitszeit am Tier durch Delegation anderer Tätigkeiten an Dritte, ein flächendeckender Preisanstieg durch die Berechnung kostendeckender Preise, eine Verbesserung des Arbeitsklimas, der Zusammenarbeit im Team und der Personalführung zielführend sein. Die Anhebung der Gebührenordnung für Tierärzte oder deren Abschaffung und eine verpflichtende Tierkrankenversicherung für Hobbytiere könnten in der Berufspolitik diskutiert werden.

 

Johanna Kersebohm / privat

Über die Autorin:
Frau Johanna Kersebohm hat in Ihrer Doktorarbeit die Arbeitsbedingungen und die damit verbundene Zufriedenheit von praktizierenden Tiermedizinern in Deutschland untersucht. Sie schloss im März 2016 das Veterinärmedizinstudium ab und arbeitet derzeit als Kleintierpraktikerin. Am Institut für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie der Freien Universität Berlin wird die Dissertation derzeit angefertigt; alle Ergebnisse werden voraussichtlich Anfang 2018 als PDF zum Download zur Verfügung stehen.

Gast

Hierbei handelt es sich um einen Gastartikel. Informationen über den jeweiligen Autor / die jeweilige Autorin entnehmen Sie bitte dem Text.

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