Kein Phänomen in der Medizintheorie ist so herausfordernd wie der Schmerz!
erstellt am 28. März 2022


Ursprüngliche Veröffentlichung: Magazin Katzenmedizin #5 - 09-2021
Mit dem Phänomen Schmerz werden wir in der tierärztlichen Praxis alltäglich konfrontiert: Schmerz als Symptom von Krankheit (z.B. Pankreatitis, Arthritis, FIC), Schmerz als Folge von Verletzungen (z.B. Bisse, Frakturen, Tumore), Schmerz als Begleitung chirurgischer (z.B. Kastration) und diagnostischer Interventionen (z.B. Blasenpunktion) oder gar als eigenständige Krankheit, nämlich dann wenn sich das Schmerzgeschehen chronifiziert hat (Schmerzgedächtnis). Hyperalgesie oder gar Allodynie können die Folge sein.
Wir alle kennen die Definition des Schmerzes der International Association of the study of pain IASP, die für die Tiere in dieser Form erweitert wurde: „Schmerz bei Tieren ist eine aversive Empfindungserfahrung, verursacht durch aktuelle oder potenzielle Verletzung (Schädigung), die ihrerseits schützende motorische und vegetative Reaktionen auslöst sowie erlerntes Meideverhalten bewirkt, und das spezifische Artverhalten – einschließlich Sozialverhalten- modifizieren kann."
Dieser Versuch, den Schmerz deskriptiv zu erfassen, ist nur teilweise gelungen. Ausgeblendet bleibt in dieser Definition die Unterscheidung zwischen akutem und chronischem Schmerz, der in der Regel progrediente Verlauf des Schmerzgeschehens, das subjektive Schmerzempfinden und die sehr individuelle Schmerzwahrnehmung, die selbst bei gleichen Stimuli nie die gleiche bleibt. Darüber hinaus fehlt die Beschreibung vom individuellen Leid, welches sich in der Beeinträchtigung von Lebensqualität spiegelt.
Um den Schmerz in seiner gesamten Dimensionalität zu erfassen, ist es zwar sehr hilfreich, ein Wissen über die vegetativen (autonomen) Reaktionen wie Blutdruckanstieg, Erhöhung der Herzfrequenz und motorischen Reaktionen (reflektive Muskelverspannung) zu haben, ihn sensorisch diskriminativ (wo, wie, wie lange) zu erfassen. Doch gerade die affektiv, motivialen Komponente des Schmerzes, welche die bedeutendste Auswirkung auf das Schmerzempfinden hat, ist uns in der Tiermedizin noch schwerer zugänglich als in der Humanmedizin.
Zum einen ist es grundsätzlich nicht möglich, als externe Untersucher*in die subjektive Sensation Schmerz nachzuempfinden – auch nicht beim Patient Mensch - und zum anderen sind unsere Patienten non-verbal. Zusätzlich macht es uns die Katze in ihrer Einzigartigkeit als „master of disgiuse“ schwerer als andere Spezies (Hund).
Vokalisieren unsere Katzen Schmerz, so ist es in der Regel eine akute Empfindung, den stillen, langandauernden Schmerz (periphere und zentrale Sensibilisierung) signalisieren sie mit Verhaltensänderungen. So benötigen wir als Tierärzt*innen genau wie in der Humanmedizin annähernd neutrale, reproduzierbare Parameter. Diese orientieren sich sowohl in der Human– als auch in der Tiermedizin an dem Wohlbefinden des Patienten, welches die wichtigste Messgröße für die Lebensqualität ist.
Die Suche nach spezifischen Biomarkern (erhöhtes Cortisol, Katecholamin , Endorphine o.ä.) haben sich als obsolet erwiesen, hilfreich und allgemein einsetzbar sind die in den letzten Jahren erarbeiteten „pain scales“, die Verhaltensmuster und Verhaltensveränderungen sehr zuverlässig erfassen lassen.
Glasgow Feline Composite Measure pain Scale und Feline Grimace Scale
Wir arbeiten in der Praxis gerne mit der Glasgow Feline Composite Measure pain Scale und den Feline Grimace Scale bei den stationären Patienten und mit Fragebögen, die das Verhalten und die Aktivitäten der Katze zu Hause erfassen. Diese Fragebögen dienen hauptsächlich dazu, chronische Schmerzzustände zu erkennen. Sie helfen uns gleichzeitig, die Patientenbesitzer*innen zu sensibilisieren. Das ist nicht schwer, da Schmerz eine universelle Erfahrung ist, die jeder Mensch kennt. Die Erkenntnis, dass das eigene Tier leidet, erhöht die Compliance zur Therapie, aber auch die Bereitschaft zur Vorsorge. Hier sind wir bei dem wichtigsten Faktor der erfolgreichen Schmerzbehandlung angelangt. Nur aufgeklärte Besitzer*innen stellen ihre Katzen in der Praxis vor und nur regelmäßige Gesundheitskontrollen ermöglichen es uns, aktuelle Schmerzzustände zu erfassen und zukünftiges Leiden zu vermeiden.
Die adäquate Schmerzbehandlung der Katzen ist Pflicht und Tierschutz. Durch das erweiterte Wissen der pharmakologischen Besonderheiten bei der Katze verfügen wir inzwischen über ausreichend katzenverträgliche Analgetika, so dass kein Tier mehr unnötig Schmerz mit seinen fatalen Folgen für den Gesamtorganismus ertragen muss.
Perioperative Analgesie
Ich möchte hier nur kurz auf die prä –, peri – und postoperative Analgesie eingehen, da sie in der Literatur ausreichend beschrieben ist.
Aufgrund der Neigung unserer Katzen zu Niereninsuffizienz werden bei uns alle Katzen in der Narkose infundiert, jeder operative Eingriff - und sei er noch so klein - wird analgetisch abgedeckt. Ist der invasive Eingriff planbar, sollte schon ein Tag präoperativ ein Schmerzmittel verabreicht werden, welches dann am Operationstag vor dem Eingriff intravenös (z.B. Opioid) potenziert wird, eine lokale Infiltration reduziert zusätzlich das Schmerzempfinden und blockiert die Weiterleitung des nozizeptiven Reizes.
Durch die Kombination von verschiedenen Substanzklassen kann der Synergieeffekt genutzt und die Dosierung einzelner Präparate verringert werden. Die Wahl des Schmerzmittels wird von dem zu erwartenden Schmerz (viszeral, somatisch, neuropathisch, entzündlich ) bestimmt. Routin
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Autor:innen
Dr . Gabriele Rummel praktiziert seit 1982 bereits in dritter Generation als Tierärztin. Ihr besonderes Interesse gilt den Erkrankungen der Katze. Die Tierärztin ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Gruppe Katzenmedizin, Mitglied der International Society of Feline Medicine (ISFM). Die Tierarztpraxis ist von der ISFM als katzenfreundliche Praxis zertifiziert.Tierarztpraxis Dr. Rogalla und Dr. Rummel, Nidderau - Teil von Tierarzt Plus Partner
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