Der paraparetische Patient in der Bildgebung – Teil 1: Röntgen
erstellt am 2. Januar 2023


Das plötzliche Auftreten einer Lähmung der Hintergliedmaßen (Paraparese) bei Hunden und Katzen ist ein gängiger Vorstellungsgrund in Tierarztpraxen und -kliniken und muss als absoluter Notfall betrachtet werden. Die zeitnahe Diagnostik zur Ursachensuche sowie die Planung des weiteren Vorgehens binnen kurzer Zeit sind dabei essentiell.
Anamnese und klinische Untersuchung
Zwar berichten einige Tierhalter in der Anamnese von vorangegangenen Traumata. Aber oftmals tritt die Lähmung der Hintergliedmaßen bei Hunden und Katzen völlig unerwartet und ohne offensichtliche Ursache auf. In der klinischen Untersuchung ist vor allem wichtig, eine Lahmheit beider Hintergliedmaßen aufgrund orthopädischer Probleme von einer Paraparese zu unterscheiden.
Definition und neurologische Untersuchung
Von einer Paraparese wird bei einer Funktionsbeeinträchtigung der Hintergliedmaßen durch das Vorliegen einer Läsion im Nervensystem gesprochen. Liegt bereits eine vollständige Lähmung beider Hintergliedmaßen vor, wird diese als Paraplegie bezeichnet. Der Schweregrad der Paraparese wird durch eine Gradeinteilung z.B. nach Sharp und Wheeler (2005) ausgedrückt: von Schmerzhaftigkeit in der Wirbelsäule (Grad 1), zusätzlicher Ataxie (Grad 2) bis zum Verlust der Gehfähigkeit (Grad 3) bzw. Stehfähigkeit (Grad 4) sowie Ausfall des Tiefenschmerzes (Grad 5). Eine weitere, verbreitete Einteilung der neurologischen Dysfunktion beim Vorliegen einer Paraparese ist der modifizierte Frankel Score. Hierbei ist die umgekehrte Reihenfolge hinsichtlich des Schweregrads der Paraparese zu beachten: Beginnend bei Grad 5: ohne neurologische Defizite, über Grad 4: Dolenz in der Wirbelsäule, Grad 3: Ataxie, Grad 2: Verlust der Gehfähigkeit, Grad 1: Paraplegie mit Tiefenschmerz bis zu Grad 0: Paraplegie ohne Tiefenschmerz. Zudem wird in der neurologischen Untersuchung anhand der Überprüfung der Reflexe die Funktionsbeeinträchtigung der Hintergliedmaßen dem oberen bzw. unteren motorischen Neuron zugeordnet und somit die Neurolokalisation bestimmt.
In der bildgebenden Diagnostik sind der Schweregrad der Lähmungserscheinungen und die Neurolokalisation im Hinblick auf die Beurteilung und Wertung der festgestellten Pathologien in und um den Wirbelkanal von Bedeutung, die zusammen mit der Klinik über die Möglichkeit einer konservativen Therapie oder der Notwendigkeit einer operativen Versorgung entscheiden.
Röntgen
Der erste diagnostische Schritt zum Auffinden der Ursache einer Paraparese ist das Anfertigen von Röntgenbildern der Brust- und Lendenwirbelsäule im laterolateralen Strahlengang. Zur ersten Einschätzung und der Detektion „großer“ Veränderungen der Wirbelsäule bei paraparetischen Tieren sind Röntgenaufnahmen im Wachzustand völlig ausreichend. Insbesondere Tiere im Schockzustand sollten keinesfalls für eine Röntgenuntersuchung in Narkose gelegt werden. Primäres Ziel der Röntgenaufnahmen von der Brust- und Lendenwirbelsäule in Seitenlage ist es, Neoplasien, (Sub-)Luxationen und Frakturen der Wirbelkörper als Ursache der Lähmungserscheinungen zu finden bzw. auszuschließen.
Neoplasien
Neoplasien der Wirbelsäule können sich radiologisch sowohl als osteolytische als auch osteoproliferative Veränderungen darstellen. Osteolysen treten aufgrund der Zerstörung des angrenzenden Knochens im Rahmen einer neoplastischen Infiltration in Form von rundlichen Aufhellungsarealen oder als sehr kleine, nadelstichartige Destruktiosherde innerhalb des Wirbels auf (Abb. 1). Inwieweit eine computertomographische Untersuchung sowie eine Probennahme zur Absicherung der Verdachtsdiagnose einer Neoplasie als Ursache für die Paraparese im Anschluss an die Röntgenaufnahmen notwendig und sinnvoll sind, muss individuell entschieden und mit dem Tierhalter besprochen werden.
(Sub)Luxationen der Wirbelsäule
Luxationen und Subluxationen stellen sich auf dem Röntgenbild der Brust- und Lendenwirbelsäule im laterolateralen Strahlengang als Verschiebungen zweier Wirbel im Bereich des Zwischenwirbelspaltes dar (Abb. 2). (Sub)Luxationen der Wirbelsäule treten häufig nach Traumata auf. Radiologisch nachvollziehbare Veränderungen der Wirbelsäule beim Vorliegen einer (Sub)Luxation können von geringem Ausmaß und trotzdem von großer klinischen Bedeutung sein, da die Rückenmarksschädigung auf einem Röntgenbild nicht abzuschätzen ist. Die Prognose beim Vorliegen einer (Sub)Luxation der Wirbelsäule in Kombination mit fehlendem Tiefenschmerz in der neurologischen Untersuchung ist als sehr ungünstig einzustufen. Liegt eine (Sub)Luxation der Wirbelsäule mit erhaltenem Tiefenschmerz vor, ist die Prognose nach operative Stabilisierung der Wirbelsäule als ungewiss einzuordnen.
Frakturen der Wirbelsäule
Frakturen der Wirbelsäule zeigen sich im Röntgen als Zusammenhangstrennungen innerhalb eines Wirbels. Dislozierte Frakturen lassen sich radiologisch gut diagnostizieren (Abb. 3). Frakturen ohne Dislokation können auf einem Röntgenbild der Brust- und Lendenwirbelsäule im laterolateralen Strahlengang,
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Autor:innen
Dr. Lena Maria Holbein, Anicura Ahlen - Tierärztliche Klinik für KleintiereDr. Lena Maria Holbein hat ihr Studium der Veterinärmedizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen absolviert. Danach war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Kleintiere (Chirurgie) der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig und hat dort die Ausbildung zur Fachtierärztin für bildgebende Verfahren der Kleintiere begonnen. Seit 2020 arbeitet sie als Oberärztin für bildgebende Diagnostik an der Tierärztlichen Klink Ahlen und wurde 2021 zur Fachtierärztin für bildgebende Verfahren der Kleintiere ernannt. Die Tierärztin ist als Gutachterin für Hüftgelenks- und Ellbogengelenkdysplasie Mitglied in der GRSK.
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