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Alkohol Und Drogen Sind Keine Lösung! Dies Gilt Auch Für Tierärzte…

Alkohol und Drogen sind keine Lösung! Dies gilt auch für Tierärzte…

Der tierärztliche Beruf ist stressig. So stressig, dass er nicht selten zu seelischer Überlastung und Burnout führt (s. auch letzten Artikel) . Nicht erst dann, sondern auch schon lange bevor diese totale Erschöpfung eintritt, greift eine nicht unerhebliche Anzahl von Tierärzten unter beruflicher Stressbelastung zu Alkohol oder Medikamenten, um zur Ruhe zu kommen und den Stress zu bewältigen. In einer Umfrage unter Tierärzten zur psychosozialen Belastung und dem Konsum von psychotropen Substanzen, wurde 2006 für ca. 15 Prozent der Befragten ein riskanter bis gefährlicher Alkoholkonsum festgestellt. Die befragten Veterinäre konsumieren danach etwas häufiger Alkohol als andere Teile der Bevölkerung. Auch bei der Burnout-Umfrage, die 2011 im Deutschen Tierärzteblatt veröffentlich wurde, gaben 6% der befragten Tierärzte einen deutlichen bis starken stressbedingten Konsum von Alkohol und/oder Medikamenten (Schmerz- und Beruhigungsmittel) an. Dies sind keine neuen Erkentnisse und die Ergebnisse sind aus wissenschaflticher Sicht auch nicht unbedingt belastend, man kann jedoch davon ausgehen, dass die Dunkelziffer der substanzabhängigen Tierärzte deutlich höher liegt und das bestehende Problem unterschätzt wird.

Wie kommt es allgemein und gerade bei Tiermedizinern zur Abhängigkeit von psychotropen Substanzen?

Es ist erwiesen, dass der Alkohlkonsum und Medikamentengebrauch in einem deutlichen Zusammenhang mit der Unzufriedenheit im Beruf und der chronischen Stressbelastung liegt (bei Tierärzten u.a. durch lange Arbeitstage, Arbeitszeitdruck und Umgang mit schwierigen Klienten). Denn: Stress und starke psychosoziale Belastungen schädigen den Optimismus und das Selbstwertgefühl und sind damit Risikofaktoren für den Konsum von psychotropen Substanzen.

Der Weg in die Suchtentwicklung verläuft dabei schleichend. Es fängt nicht selten damit an, dass man aus Frustration über einen stressigen Arbeitstag hin und wieder zu Alkohol oder Beruhigungsmitteln greift, um sich zu entspannen und endlich abschalten zu können. Oder aber man nimmt aus reiner Neugierde psychotrope Substanzen (z.B. Opiate) zu sich, zu denen Tierärzte aufgrund ihres Berufes i.d.R. leichten Zugang haben. Da Tiermediziner pharmakologische Fachkenntnisse und das Wissen um das Suchtpotenzial besitzen, glauben sie oft irrtümlicherweise, alles im Griff zu haben und gar nicht abhängig werden zu können. Anfangs überwiegt die erleichternde, z.T. sogar euphorisierende Wirkung der psychotropen Substanzen – egal ob es sich dabei um Alkohol, Arzneimittel oder sonstige Drogen handelt. Man fühlt sich besser, die Anspannung und Unsicherheit lösen sich, die Sorgen werden vertrieben.

Im Laufe der Gewöhnung treten diese „positiven“ Effekte jedoch mehr und mehr in den Hintergrund und es stellt sich eine psychische Abhängigkeit ein. Der Betroffene glaubt, er kann seine Probleme nicht mehr ohne das Suchtmittel lösen und greift in belastenden Situationen schneller dazu. Dies geht so weit, dass nach einer gewissen Zeit bei jedem Problem automatisch zur Flasche/Tablette/Spritze gegriffen wird. In dieser Phase der psychischen Abhängigkeit können substanzabhängige Tierärzte noch ihrem Beruf nachgehen, ohne auffällig zu werden, z.T. machen sie sogar Karriere, da sie durch die psychotropen Substanzen noch maßloser arbeiten können und die berufliche Belastung kaum noch merken (hier spielt auch Kokain eine nicht zu unterschätzende Rolle).

Der Einstieg in die tatsächliche Sucht

Wenn nach einer gewissen Zeit die körperliche Abhängigkeit eintritt, kommen physische Symptome hinzu und die Betroffenen leiden zunehmend unter einem allgemeinen Unwohlsein. Nun befindet man sich in der Suchtphase. – Da sich der Körper an das Suchtmittel gewöhnt hat, braucht er immer größere Mengen davon, um die gleiche berauschende Wirkung zu erzielen. Wird der Konsum eingestellt, kommt es zu unangenehmen körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen, wie innerer Unruhe, Zittern, Desorientiertheit und Angstgefühlen. Der Arbeitsalltag kann kaum noch bewältigt werden und es kommt immer häufiger zu Ausfällen und Auffälligkeiten. Der Konsum von psychotropen Substanzen erfolgt schließlich hauptsächlich aus Angst, dass andere von der Abhängigkeit Wind bekommen und v.a. aus Angst, alles zu verlieren, was man sich durch jahrelange harte Arbeit aufgebaut hat. Denn für Tierärzte kann der Missbrauch von Alkohol und anderen Substanzen zum Karriereende und zu rechtlichen Konsequenzen bis hin zum Verlust der Approbation führen. Ein erschreckender Gedanke, der oftmals die nötige Krankheitseinsicht verhindert.

Und genau hier liegt das Problem, das dazu führt, dass es den Betroffenen i.d.R. nicht gelingt, von selbst den Suchtkreislauf zu durchbrechen und abstinent zu werden. Über Jahre bis Jahrzehnte führen sie einen zermürbenden Kampf gegen ihre eigene Abhängigkeit und schaffen es nicht, sich jemand anderem anzuvertrauen – selbst bei Arztbesuchen wird die Sucht verschwiegen. Stattdessen verleugnen sie ihre Erkrankung vor sich selbst und vor anderen und werden immer wieder rückfällig. Mit jedem Tag wird jedoch die körperliche Abhängigkeit stärker und mit jedem erfolglosen Entzugsversuch wächst die eigene Enttäuschung, was die Sucht wiederum noch mehr verstärkt.

 

Wie kann der Suchtkreislauf durchbrochen werden?

Obwohl viele Tierärzte von der Abhängigkeitserkrankung betroffen sind, ist dies v.a. in Deutschland immer noch ein Tabuthema. Der Suchtkreislauf kann jedoch nur dann wirksam und dauerhaft durchbrochen werden, wenn die erkrankte Person  frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Diese frühzeitige Intervention ist extrem wichtig, damit die Berufsfähigkeit erhalten werden kann. Betroffene Tierärzte müssen also lernen, ihre Krankheit zu erkennen, um Hilfe zu bitten und diese auch von anderen Menschen anzunehmen, was gerade für Menschen, die „helfende“ Berufe ausüben, nicht einfach ist.

Jedoch nicht nur der Suchtkranke selbst, sondern auch Menschen in seinem Umfeld (Angehörige, Freunde, Kollegen) ebenso wie behandelnde Ärzte, dürfen nicht mehr länger wegschauen, sondern müssen Berührungsängste ablegen, das Schweigen brechen und aktiv werden. Denn sie tun dem Betroffenen absolut keinen Gefallen, wenn sie dessen Versteckspiel unterstützen und seine Sucht ignorieren oder bagatellisieren. Ganz im Gegenteil, machen sie sich durch dieses Verhalten sogar mitschuldig, da dadurch verhindert wird, dass der Betroffene frühzeitig die dringend benötigte Hilfe erhält.

Wer bietet betroffenen Tierärzten Hilfe bei Substanzabhängigkeit?

Von Substanzabhängigkeit betroffene Tierärzte können sich an die Initiative „ASA“ (Anonyme Substanzabhängige Ärzte) wenden (www.asahilfe.de), die eine auf die Berufsgruppe von (Tier-)Ärzten ausgerichtete Hilfe anbietet. Bei dieser Anlaufstelle können Suchtkranke – anfangs auch anonym – über ihre Problematik sprechen und Rat bekommen, um einen gemeinsamen Weg aus der Abhängigkeit zu finden. Wenn der Betroffene sich einsichtig zeigt und bereit ist, sich helfen zu lassen, wird weiterführende therapeutische Hilfe vermittelt. Auch Menschen im Umfeld des Suchtkranken, die Verdacht schöpfen oder bereits involviert sind, können sich an ASA wenden.

Desweiteren wurde 2009 das Interventionsprogramm (IVP) für suchtgefährdete und substanzabhängige Tierärzte ins Leben gerufen, bei dem einige Landes-/Tierärztekammern ein Hilfsangebot für betroffene Veterinäre anbieten. Vorrangiges Ziel dieses Programms ist es, die Arbeitsfähigkeit des suchtkranken Tierarztes zu erhalten bzw. wiederherzustellen und den Erhalt der Approbation sicherzustellen. Wird der Tierärztekammer ein problematischer Suchtmittelkonsum (bzw. auch nur der Verdacht darauf) gemeldet, lädt diese den betroffenen Tierarzt zu einem Gespräch ein, bei dem das weitere Vorgehen abgestimmt und weiterführende Untersuchungen festgelegt werden. Nach der Auswertung der Erkentnisse werden bei Bedarf therapeutische Möglichkeiten besprochen, wozu Kontrollen, ambulante Behandlungen bis zu stationäre Entgiftungen zählen. Nach Abschluss der Therapie gibt der Tierarzt eine freiwillige Vereinbarung über die Teilnahme an einem zwei-jährigen Suchtinterventionsprogramm ab, das Psychotherapie und Laborkontrollen umfasst. Bei Bedarf finden auch begleitende Gespräche statt, bei denen der Tierarzt weiterhin die Möglichkeit bekommt, über sein Befinden und Probleme zu sprechen. Informationen zu Verfahren und Ablauf des IVP erhält man u.a. auf der Homepage der Tierärztekammer Niedersachsen (www.tknds.de). Der direkte Ansprechpartner ist Dr. Uwe Tiedemann, Vizepräsident der Bundestierärztekammer und Präsident der Tierärztekammer Niedersachsen, der das Programm leitet und betreut.

 

Artikel von Tierärztin Tonia Olson
Die Autorin hat 2005 ihr Veterinärmedizin-Studium in München abgeschlossen. Bei ihrem anschließenden mehrjährigen Aufenthalt in Skandinavien war sie u.a. in einer städtischen Gemischtpraxis tätig. Nach der Elternzeit arbeitet sie nun in einer Kleintierpraxis in der Nähe von München. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Katze und einen Hund.

Gast

Hierbei handelt es sich um einen Gastartikel. Informationen über den jeweiligen Autor / die jeweilige Autorin entnehmen Sie bitte dem Text.

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