Angriff auf Tierärztin – Notdienstkrise auf traurigem Höhepunkt

erstellt am 4. Januar 2022

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Fachbeitrag
Ein Beitrag von  Kiwi
Foto: Carsten Vogt,  Klinik für Kleintiere Sottrum auf VetStage
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Nach all den bundesweiten Horrorgeschichten hat es nun auch uns getroffen:
Die notdiensthabende Tierärztin ist körperlich angegangen worden. Ist das der Anfang vom Ende? Wo führt uns die turbulente Notdienstsituation hin?

Zurück zum Anfang des Falles: eine Katze wird am 27.12. gegen 22.00 Uhr aufgrund eines möglichen Fremdkörpers im Magen-Darm-Trakt vorgestellt. Bereits nach 20 Minuten Wartezeit wird unsere tiermedizinische Fachangestellte wüst beschimpft. Sie weist die Besitzerin darauf hin, nicht in dieser Art mit ihr zu kommunizieren. Dennoch: das hat gesessen. Unsere Kollegin ist von einem solchen Umgang sprachlos, geschockt und gekränkt. In Anwesenheit der dazu stoßenden Tierärztin ist der Umgangston jedoch prompt wieder freundlich.

Medizinisch geht alles seinen Weg – der Fremdkörper wird diagnostiziert und der Patient chirurgisch versorgt. Im Laufe der Versorgung des Patienten offenbart sich unsere TFA der Tierärztin, erzählt ihr von dem Gespräch. Was sollten sie nun tun? Der Patient leidet – es muss eine Versorgung stattfinden. Um ein Hausverbot auszusprechen ist es nun zu spät, der Patient ist bereits auf dem OP- Tisch. Wir entscheiden im Verlauf der Therapie ein Gespräch mit der Besitzerin zu suchen.

Am Folgetag zeigt sich die Besitzerin freundlich und bedankt sich mehrfach. Die berechtigte Skepsis der Kolleginnen bleibt: war das ein Ausrutscher? Wo wird das hinführen? Wir lassen sich die Gemüter beruhigen, das Gespräch mit der Geschäftsführung ist für Anfang des Jahres angesetzt. Die stationäre Therapie wird fortgesetzt. Leider war der Fremdkörper nicht das einzige Problem, davon hat sich der Kater zügig erholt. Die chronische Nierenerkrankung erfordert einige Tage stationären Aufenthalt, um die Prognose möglicherweise langfristig zu verbessern.

In all den Tagen erfolgten interne Gespräche und natürlich Gespräche mit der Besitzerin. Immer sehr vorsichtig, keiner möchte, dass sich der Vorfall wiederholt. Die Gesprächsform ist sachlich, bislang ist der Umgang vertretbar. Während der Abholung am 31.12. hat die Besitzerin ihre Emotionen im Griff – Ihre Gesprächsform ist gewöhnungsbedürftig. Damit können wir umgehen, solange keine Beleidigungen vorkommen. Die Gespräche mit dieser Besitzerin bleiben im Hinterkopf. Eine Mischung aus latenter Aggressivität und freundlicher Dankbarkeit. Die Kolleginnen denken an den Patienten: wir konnten ihn fürs Erste retten, alles andere rutscht erstmal weiter nach hinten. Für die Kolleginnen geht der Dienst weiter.

Der Notdienst: überlaufen. Das Telefon steht keine 5 Minuten still.

Ein Viertel der Gespräche dreht sich um Termine für das neue Jahr, Floh- und Zeckenprophylaxe, Anfragen, ob wir wirklich die Notdienstgebühr abrechnen. Das zweite Viertel handelt sich darum, ob die chronische Lahmheit heute vorgestellt werden muss oder ob die Dermatologin für eine Beratung im Hause sei – zusammengefasst also Fragen, die die Kolleginnen am Telefon einfach nicht beantworten können oder gar absurd sind. Bei einem weiteren Viertel der Anrufe werden, z.B. Fragen zur Dosierung von Dauermedikamenten gestellt. Optimalerweise von Tieren, die wir nicht kennen, am Silvestertag um 18:45 Uhr.

Schlussendlich das letzte Viertel der Anrufer. Auf die kommt es an, sie haben ein Tier in Not und brauchen dringend Hilfe. Für sie müssen wir erreichbar sein. Leider ist die Leitung häufig mit den anderen 75% der Anrufer belegt und lässt keinen Raum für akute und lebensbedrohliche Notfälle.

Alle diese Gespräche werden geführt, während man versucht ein Tier zu behandeln, ein Kunde vor einem auf die Behandlung wartet oder weitere Telefone klingeln – man fragt sich: ist das der lebensbedrohliche Notfall, den ich gerade nicht bedienen kann? Das zerrt an einem, das kostet Kraft. Man hat kaum Zeit dem verpassten Anruf hinterher zu trauern. Es sind noch viele Patienten zu versorgen, es ist ein Marathon zwischen ambulanter Behandlung, Intensivpatienten auf der Station, Telefongesprächen und E-Mail schreibenden, die sich nicht vorstellen können, warum man im Notdienst nicht prompt antworten kann. Es ist 20.00 Uhr. Die Schicht ist schon lange vorbei, die nächsten Kolleginnen haben bereits übernommen.

Während ein erstickender Hund mit einer Kehlkopflähmung zügig mit vereinten Kräften aus dem Auto, vorbei an einem weiteren Besitzer, in die Klinik getragen wird, fragt dieser, ob es noch lange dauert, er hätte nicht mehr so viel Zeit. Sein eigener Hund zeigt sich fröhlich und aufmerksam mit einer kaum wahrnehmbaren Lahmheit. Macht nichts, denkt man sich, sie wissen es vielleicht nicht besser.

Der erstickende Hund ist versorgt und stabilisiert, kann aber erstmal nicht allein bleiben – es bleibt also eine Kollegin bei ihm. Eine weitere wichtige Kraft für die ambulante Behandlung ist für die nächsten 2 Stunden sicher nicht mehr abrufbar. Sie schafft es eben noch Ihre Familie zu informieren, dass sie es nicht zum Silvesteressen nach Hause schafft. Mit etwas Glück wird sie um Mitternacht anstoßen können.

Währenddessen sind bereits mehrere Patienten mit Lappalien behandelt worden:

die minimale Lahmheit, die unbedingt eine Röntgenuntersuchung möchte. Und wenn wir schon dabei sein, bitte noch eine große Blutuntersuchung und einen vollständigen Bauchultraschall, der Magen grummelt in letzter Zeit etwas. Der Hinweis, dass grundsätzliche Sachen am Tag und bestenfalls beim betreuenden Haustierarzt gemacht werden sollte, wird mit brummenden Kommentaren erwidert.

Danach wartet schon der Hund mit Durchfall, ein bekannter Allergiker. Der Besitzer möchte das nun mal in der Klinik abklären lassen. Der Besitzer habe ja heute frei, daher hätte er Zeit für eine Abklärung. Bestenfalls bringt er noch einen Ordner voller Befunde der letzten 5 Tierärzte mit, die diesen Patienten bereits behandelt haben und durch den ständigen Tierarztwechsel nicht zu Ende diagnostizieren konnten. Er kann nicht verstehen, dass es in der Medizin nicht nur schwarz und weiß gibt, das kann ja wohl nicht so schwer sein eine Diagnose zu stellen! Erhöhte Gebühren? Kann ja auch nicht sein, er hatte schon zum Ende der Sprechstunde am Morgen angerufen und sei ja nicht seine Schuld, dass er erst so spät kommen konnte. Dass die Internistin gerade nicht im Haus ist und ihren freien Tag dafür nicht unterbricht, stößt auf bedingtes Verständnis. 

Dann ist noch der Junghund, der mit wackelndem Zahn vorgestellt wird. Ein 6 Monate alter kleiner Terrier – von Milchzähnen beim Hund haben die Besitzer noch nie gehört, es sei schließlich ihr erster Hund. Sich zuvor mit gängigen und grundsätzlichen Hundethemen zu beschäftigen war ihnen bisher nicht in den Sinn gekommen. Zur entstandenen Rechnung über die Notdienstgebühr und einer klinischen Untersuchung gibt es noch Klärungsbedarf – die diensthabende Kollegin habe schließlich nur geguckt und sonst nichts gemacht. Macht nichts, denkt man sich. Sie wissen es vielleicht nicht besser.

Den ganzen Tag sind die Kolleg:innen auf den Beinen

Ein verdienter Kaffee lässt schon Stunden auf sich warten. Doch keiner geht nach Hause zu seinen Liebsten bevor nicht alle Patienten adäquat versorgt sind. Nicht nur alle Therapiepläne müssen dauerhaft auf ihre Gültigkeit hinterfragt und umgesetzt werden. Auch brauchen alle Patienten einen individuellen Moment, mit Streicheleinheiten und Pflege. Ja, auch die Seele darf nicht vernachlässigt werden. All das passiert im Hintergrund – der wartende Kunde im Auto oder an der Rezeption kann das nicht wahrnehmen. Man schluckt unfreundliche und unfaire Fragen herunter – der nächste Patient ist nett, dankbar, wertschätzend. Das entspannt die Gesamtsituation.

Die nachtdiensthabenden Kolleginnen haben keine Zeit auf die Uhr zu gucken. Sie versuchen bestmöglich die Fragen nach

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