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„Ich Kann Nicht Mehr!“ – Wenn Der Tierärztliche Beruf Zur Seelischen Belastung Wird.

„Ich kann nicht mehr!“ – Wenn der tierärztliche Beruf zur seelischen Belastung wird.

Machen Sie sich täglich voller Vorfreude auf den Weg zur Arbeit? Oder würden Sie manchmal lieber „krank“ machen, die Decke über den Kopf ziehen oder Ihre Sachen packen und gehen?!

Es ist ganz normal, dass es auch berufliche Phasen gibt, in denen der Stress so hoch ist, dass man am liebsten die Flucht ergreifen und in den nächsten Flieger steigen würde. Wenn man sich jedoch dauerhaft seelisch „ausgebrannt“ fühlt und jegliche Freude an seiner Arbeit verloren hat, dann stimmt etwas nicht und im schlimmsten Fall liegt bereits ein manifester Burnout vor, so dass der Betroffene mehr als dringend Hilfe benötigt.
Tierärzte haben – neben anderen Menschen, die soziale und helfende Berufe ausüben – ein erhöhtes Risiko an dieser tiefen Selbstwertkrise zu erkranken. Sie müssen sich tagtäglich um ihre emotional belasteten Klienten sorgen und stellen dabei oft ihre eigene Person und ihr eigenes Empfinden in den Hintergrund. Natürlich begünstigen bestimmte Persönlichkeitsfaktoren die Entstehung von Burnout: Menschen, die zu Perfektionismus neigen und sich voller Begeisterung bis hin zur Verausgabung in die Arbeit stürzen, sind stärker gefährdet als andere. Häufig stellen v.a. Tierärzte in Führungspositionen unrealistische und nicht erfüllbare Arbeitsanforderungen an sich und andere, was zu einem ständigen Unzufriedenheitsgefühl führen kann. Gefährlicher als diese begünstigenden Charaktereigenschaften ist jedoch gerade bei Tierärzten die extrem hohe Belastung durch ihren Beruf, die zu Dauerstress und damit ersten Erschöpfungssymptomen führen kann.

Ursachen für die berufliche Überforderung bei Tierärzten

In einer Studie zum Thema Stress und Gesundheitsbelastung, die 2011 im Deutschen Tierärzteblatt veröffentlicht wurde, gaben erschreckend viele – nämlich fast die Hälfte – der befragten Tierärzte eine signifikant erhöhte berufliche Belastung im Vergleich zur Normalpopulation an. Die Ursachen für diese Überforderung durch den tierärztlichen Beruf sind vielfältig:

  • schlechte Arbeitsbedingungen (lange Arbeitszeiten, schlechtes Einkommen)
  • hoher Leistungsdruck
  • z.T. schwieriger Umgang mit den Patientenbesitzern und deren hohe Erwartungshaltung (der Tierarzt muss immer eine perfekte Leistung erbringen und stets gut gelaunt sein)
  • große Verantwortung verbunden mit ständigem Hinterfragen der eigenen Entscheidungen („Habe ich bei der Behandlung alles richtig gemacht?“)
  • hohes Maß an Selbstkritik (Therapieversagen wird von Tierärzten oft als schwere Niederlage oder sogar als persönliches Versagen empfunden)
  • Konfrontation mit dem Thema Tod (v.a. verstärkt durch Tiere, die man einfach „nicht retten konnte“ oder die z.B. in OPs versterben)

Hinzu kommt die bedeutsame Tatsache, dass Tierärzte i.d.R. wenig Zeit für ihr Privatleben haben und sich ihr Beruf sehr schlecht mit anderen Lebensbereichen v.a. der Familie vereinbaren lässt. Dies ist sehr belastend und kann zu vermehrten Konflikten im privaten Bereich führen. Die meisten Tierärzte schaffen es folglich nicht, sich in ihrer Freizeit vom beruflichen Stress zu erholen und ihre persönlichen Kraftreserven wieder aufzufüllen.

Unterstrichen wird diese Tatsache auch durch die neueste Studie von Anfang diesen Jahres aus den USA, in welcher zwischen 1979 und 2015 Suizidraten von Tierärzten untersucht wurde. Diese war bei den Tierärzten höher als bei der Durchschnittsbevölkerung. Betroffen waren meist männliche Kollegen. Erschreckend und traurig. Und ein Warnsignal, sehr dringend auf Ursachenforschung zu gehen und diese zu bekämpfen.

 

Symptome und Phasen des Burnout

Das Burnout-Syndrom wurde erstmals durch den Psychoanalytiker Herbert Freudenberger als „Erschöpfung der Energiereserven“ beschrieben. Die Erkrankung darf nicht mit einer vorübergehenden Selbstwertkrise verwechselt werden. Es handelt sich vielmehr um den Zustand totaler (körperlicher, emotionaler und geistiger) Erschöpfung aufgrund einer chronischen beruflichen oder anderweitigen Überlastung, die wegen einer verminderten Belastbarkeit nicht bewältigt werden kann. Burnout liegt dann vor, wenn der Betroffene folgende Symptome zeigt:

  • Überwältigende emotionale Erschöpfung (Kernsymptom) verbunden mit Antriebsschwäche. Die Betroffenen fühlen sich leer, schwach und müde. („Ich habe keine Kraft mehr!“)
  • Depersonalisation (innerliches Erkalten): abnehmendes Einfühlungsvermögen, Interesse und Engagement für andere, v.a. Patienten(-Besitzer); stattdessen Gleichgültigkeit, Distanziertheit oder Zynismus. („Mir ist alles egal! Lasst mich in Ruhe!“)
  • verminderte Leistungsfähigkeit: tritt erst in der Endphase, dem eigentlichen Burnout auf („Ich kann nicht mehr!“).

Das Burnout-Syndrom entwickelt sich schleichend und phasenweise, weshalb erste Anzeichen – gerade von Menschen in „helfenden“ Berufen – oft unbemerkt bleiben. In der Anfangsphase weisen die Betroffenen noch ein extremes Leistungsstreben und idealistische Begeisterung auf. Sie arbeiten freiwillig mehr und vernachlässigen dabei persönliche Bedürfnisse und soziale Kontakte. Durch die permanente Anspannung reagieren sie oft ungeduldig und sind leicht reizbar. Diese Anfangsphase kann – je nach Willenskraft – Jahre bis zu Jahrzehnte andauern, da innere Probleme übergangen und die Symptome von den Betroffenen selten als belastend empfunden werden (auch wenn sie bereits negative Auswirkungen auf Praxis und Privatleben haben können). Denn: Die Arbeit macht immernoch Spaß und da Tierärzte i.d.R. gewohnt sind, extrem viel zu arbeiten (laut der o.g. Studie arbeitet fast die Hälfte der Veterinäre mehr als 45 Stunden in der Woche!), merken sie die Anstrengung kaum noch.

Ist die extreme Arbeitsbelastung jedoch nicht nur eine vorübergehende Phase, kann das hohe Leistungsniveau irgendwann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Bevor sich die emotionale Erschöpfung einstellt, zeigen die Betroffenen in der Übergangsphase erste Fluchttendenzen und Rückzug, um Enttäuschungen zu vermeiden. Durch ihre zunehmend negative Einstellung zum Beruf, reduzieren sie die Anwesenheitszeiten in der Praxis und meiden ebenfalls soziale Kontakte, wodurch sie zunehmend vereinsamen.

Vom eigentlichen Burnout spricht man schließlich dann, wenn durch die chronische Überlastung in der Endphase die totale Erschöpfung eintritt. Die Betroffenen leiden u.a. unter Gedächtnisproblemen, Konzentrationsschwäche und vorzeitigem Ermüden und sind folglich nicht mehr leistungfähig. Sie werden depressiv, fühlen sich antriebslos, niedergeschlagen, werten sich selbst ab und resignieren vollständig. Als Ausweg aus dieser verzweifelten Situation, flüchten sich betroffene Tierärzte oft in die Betäubung durch Alkohol oder Medikamente. Nicht selten kommen in dieser Phase Selbstmordgedanken auf.

 

Wie kann ich mich als Tierarzt vor einem Burnout schützen?

Bedingt durch die extrem hohe Belastung durch ihren Beruf, haben Tierärzte nicht nur ein erhöhtes Risiko, an Burnout zu erkranken, sondern belegen auch in vielen westlichen Ländern regelmäßig den ersten Platz in der Selbstmord-Statistik (s.o.). Dies ist erschreckend und es besteht ein dringender Handlungsbedarf! Tierärzte müssen lernen, erste Warnsignale eines Burnouts zu erkennen und durch persönliche und berufliche Veränderungen einer Symptombildung von Krankheitswert entgegenzuwirken. Dazu zählen:

Auch Tierärzte, die alles für ihren Beruf geben, haben ein Recht auf Lebensfreude und Zufriedenheit und sollten das Erreichen dieser beiden Ziele in guten und v.a. in schlechten Zeiten nie ganz aus den Augen verlieren.

Von Burnout betroffene Tierärzte finden u.a. Hilfe bei der zuständigen Tierärztekammer (Ansprechpartner: Dr. Uwe Tiedemann, 1. Vizepräsident der Bundestierärztekammer und Präsident der Tierärztekammer Niedersachsen) oder bei der „Röher Parkklinik“ in Eschweiler (www.roeher-parkklinik.de).

 

Ursprünglicher Artikel von Tierärztin Tonia Olson
Die Autorin hat 2005 ihr Veterinärmedizin-Studium in München abgeschlossen. Bei ihrem anschließenden mehrjährigen Aufenthalt in Skandinavien war sie u.a. in einer städtischen Gemischtpraxis tätig. Nach der Elternzeit arbeitet sie nun in einer Kleintierpraxis in der Nähe von München. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Katze und einen Hund.

Nachbearbeitung von Frau Dr. Lisa Leiner im Februar 2019

Gast

Hierbei handelt es sich um einen Gastartikel. Informationen über den jeweiligen Autor / die jeweilige Autorin entnehmen Sie bitte dem Text.

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