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Der Tierarzt 4.0 – „alte“ Generation Vs. „junge“ Generation

Der Tierarzt 4.0 – „alte“ Generation vs. „junge“ Generation

Nicht erst seit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse aus der Dissertation von Johanna Kersebohm (Kersebohm JC, Doherr MG, Becher AM (2017) Lange Arbeitszeiten, geringes Einkommen und Unzufriedenheit: Gegenüberstellung der Situation praktizierender Tiermediziner mit vergleichbaren Berufsgruppen der deutschen Bevölkerung. Berl Munch Tierarztl Wochenschr DOI 10.2376/0005-9366-16093) ist es offensichtlich, dass die aktuellen Arbeitsbedingungen in der Tiermedizin problematisch sind. Berichte über Besuche der Gewerbeaufsichtsämter in Kliniken, eingeklagte Überstundenauszahlungen, Probleme bei der Besetzung von Stellen häufen sich, teilweise mit dramatischen Folgen für die tiermedizinische Versorgung in bestimmten Gebieten.

Ein Trend, der bei einigen älteren Kollegen auf Unverständnis stört, da sich doch eigentlich nichts geändert hat. Allerdings steht eben diese „Das war schon immer so“-Mentalität einer vernünftigen Herangehensweise an den Konflikt dabei im Weg.

 

Generationenkonflikt über alle Branchen hinweg

Wenn man sich mit dem Thema tiefer beschäftigt, wird schnell klar, dass es keine Entwicklung allein bei den Tierärzten ist. Verschiedene demografische Entwicklungen kommen zusammen und verändern den Arbeitsmarkt der Zukunft für alle Arbeitgeber in Deutschland.

Das nicht nur die Tierärzte mit diesem Wandel zu kämpfen haben, zeigen zahlreiche Projekte und Arbeitskreise quer durch alle Branchen und sogar seitens der Bundesregierung – das Schlagwort hier ist Arbeit 4.0 (https://www.arbeitenviernull.de/). Neben der Digitalisierung der Arbeitswelt ist ein wesentlicher Bestandteil des Projektes die Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt.

Vereinfacht gesagt treffen zwei große allgemeine Phänomene aufeinander – die Altersverteilung in der arbeitenden Bevölkerung sowie die unterschiedlichen Werte und Lebensvorstellungen der Altersgruppen.

 

 „Alte“ Generation vs. „junge“ Generation

Was aber sind denn nun die Werte und Lebensvorstellungen der „alten“ und „jungen“ Generation?

Der Arbeitsmarkt setzt sich derzeit aus drei Generationen zusammen – den Babyboomern, der Generation X sowie der Generation Y. Jeder Generation werden bestimmte Werte und Merkmale zugeordnet. Vergleicht man diese zwischen den Generationen, kann man bereits das Konfliktpotenzial erahnen.

 

  Babyboomer

1955 – 1969

Generation X

1965 – 1980

Generation Y

1980 – 2000

Werte
  • Gesundheit
  • Idealismus
  • Kreativität
  • Unabhängigkeit
  • Individualismus
  • Sinnsuche
  • Vernetzung
  • Teamwork
  • Optimismus
Merkmale
  • Teamorientiert
  • Karriereorientiert
  • Arbeit hat den höchsten Stellenwert
  • Pragmatisch
  • Selbstständig
  • Streben nach einer hohen Lebensqualität
  • Zeit ist wertvoller als Geld
  • Leben im Hier und Jetzt
  • Mit neuen Technologien aufgewachsen
  • 24 Stunden Online
Im Arbeitsleben
  • Strukturiert
  • Regelmäßiger Austausch im Team
  • Pflege von Beziehungen und Netzwerken
  • „Workaholic“
  • Ergebnisorientiert
  • Technisch versiert
  • Teilen Macht und Verantwortung
  • Arbeit ist Mittel zum Zweck
  • Arbeit muss Spaß machen, lernbereit, arbeitswillig
  • Forderung nach Privatleben sehr ausgeprägt
  • Flexibel und anpassungsbereit
  • Führungspositionen sind nicht mehr so wichtig, eher Fachlaufbahnen und Projekte
  • Meister im Multi-Tasking
Kommunikationsmedium
  • Telefon
  • E-Mail
  • Mobiltelefon
  • Web 2.0
Motivation
  • Persönliches Wachstum
  • Wertschätzung für ihre Erfahrung
  • Gefühl, gebraucht zu werden
  • Hohe Freiheitsgrade in der Arbeitsgestaltung
  • Entwicklungsmöglichkeiten
  • Work-Life-Balance
  • Selbstverwirklichung
  • Vernetztsein
  • Mit Leuten auf der gleichen Wellenlänge zusammenarbeiten
  • Work-Life-Blend (= ein fließendes Ineinander-Übergehen von Berufs- und Privatleben)

 Quelle: Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt, PFH Private Hochschule Göttingen.

 

Wie so häufig, wenn Generationen aufeinandertreffen, kommt es schnell zu Unverständnis und Konflikten – im privaten wie eben auch im beruflichen.

Sei es das Thema der Nachfolge bis hin zur Suche nach neuen Mitarbeitern, die Forderungen nach geregelten Arbeitszeiten oder die scheinbar fehlende Bereitschaft an Notdiensten teilzunehmen. Betrachtet man all diese Punkte mit dem Wissen ob der Schwerpunkte der Altersgruppen, wird schnell klar, woher die Konflikte rühren.

Während für die Babyboomer das Arbeiten und Aufbauen einer Existenz mit allen Mitteln selbstverständlich war und mit allen nötigen Mitteln betrieben wurde, ist die Generation Y darauf bedacht, neben der Arbeit auch ein ausgefülltes Privatleben zu haben. Allerdings sind für viele der Generation Y die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben fließend. Hier kommen die neuen Möglichkeiten der Arbeitsplatzgestaltung und Flexibilität ins Spiel. Dennoch liegt genau hier viel Konfliktpotenzial verborgen.

 

Wie nun aber damit umgehen?

Der Arbeitsmarkt ändert sich, ein Prozess der alle Branchen betrifft. Ein Prozess, der alle vor neue Herausforderungen stellt und neue Ansätze erforderlich macht. Je größer ein Unternehmen, desto eher ist es in der Lage, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.

Die größten Herausforderungen für kleine und mittlere Unternehmen, und da eben auch für Tierärzte als Arbeitgeber, sind das Akzeptieren der Umstände und das Sich-darauf-Einlassen.

Das Führen einer Grundsatzdiskussion, ob die junge Generation nun faul oder fordernd ist, die alte Generation autoritär und uneinsichtig, ist nicht zielführend und eine sehr emotionsgeladene Diskussion zudem.

Eine sinnvolle und produktive Diskussion kann nur zustande kommen, wenn alle Beteiligten gewillt sind, nicht die eigenen Erfahrungen und Erwartungen als den einzig gültigen Standpunkt anzunehmen, sondern sich offen auf ein Gespräch zwischen den Generationen einzulassen.

Der Universitätsprofessor Dr. Ingo Markgraf hat es in seinem Brief an die Generation Y sehr schön auf den Punkt gebracht.

 

Liebe Generation Y,

ich habe die große Freude, seit fünf Jahren mit euch an der Hochschule zu arbeiten und konnte mir ein ganz gutes Bild machen, wie Ihr so seid. Ich finde ganz ehrlich, man muss euch einfach mögen.

Das sehen viele Unternehmen gerade aber nicht so, die Ihr ganz schön durcheinanderbringt. Viele sagen ihr seid verwöhnt, nicht leistungsbereit und zu anspruchsvoll. Das stimmt, aber das waren alle vor euch auch, aber sie haben es vergessen.

Ich glaube ihr seid viel ehrlicher, als ich es war. Ihr fragt schon im ersten Gespräch nach home office, flexiblen Arbeitszeiten und wie Überstunden abgefeiert werden können.

Ich habe mich das früher auch alles gefragt, hätte mich aber nicht getraut, es laut zu fragen. Euch kann man mit Geld und Firmenwagen nicht mehr so gut von einem Job überzeugen, stattdessen wollt ihr einen respektvollen Umgang im Team, Wertschätzung durch den Vorgesetzten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und erst viel später kommt das Thema Gehalt.

Und was euren neuen Chefs, die alle noch die gute alte Schule der Führung gelernt haben, am meisten auf die Nerven geht, ist dieses immer noch mal und noch mal alles in Frage zu stellen. Es reicht nicht mehr, Chef zu sein (oder Professor), um recht zu haben.

Ihr müsst es ganz genau wissen. Ihr heißt ja nicht umsonst „Y“! Könnt ihr nicht mal irgendwann Ruhe geben und einfach nur mal machen, was man euch sagt? Nein, könnt ihr nicht.

Ich weiß das inzwischen, aber das hat auch ein paar Jahre gedauert. Bitte habt etwas Geduld mit euren Führungskräften. Auch wenn es euch noch so absurd erscheint, aber es war viele Jahrzehnte einfach nicht üblich, den Chef so lange zu fragen, bis er es genau erklärt hat.

Es reichte oft die Tatsache, dass er der Chef ist als Begründung aus. Gewöhnt euch das Fragen bitte nicht ab, denn das ist eine unendlich wertvolle Fähigkeit. Einige Unternehmen haben das ja zum Glück bereits erkannt.

Wir müssen aber, bei all dem Lob, auch kurz auf die andere Seite zu sprechen kommen. Bitte glaubt mir: Adjektive schreibt man klein und das(s) mal mit einem und mal mit zwei „s“. Ich kann es manchmal in Klausuren und Hausarbeiten nicht fassen, dass ihr die einfachsten Regeln der deutschen Sprache nicht beherrscht.

Das ist wichtig, auch wenn ihr es für Unsinn haltet. Man nimmt euch nicht ernst, wenn ihr nicht weitgehend fehlerfrei schreiben könnt. Und ihr müsst bitte noch eine Sache wissen. Es gibt eine Welt des Wissens, die über die ersten Zeilen von Wikipedia hinausgeht.

Ihr seid die Generation der Überschriften, aber bitte übt mal, einen Text 15 Minuten am Stück konzentriert zu lesen. Auch das ist wichtig (Entschuldigung an alle, die das mit den Adjektiven schon wussten!). Das „Du“ bietet übrigens immer der Ältere an und ja, es stimmt wirklich, die Fotos bleiben für alle Zeiten im Internet.

Immer, wenn ich solche Themen mit den älteren Erwachsenen bespreche, bekomme ich viel Applaus, bis ich dann frage, wer die denn eigentlich alle erzogen hat.

Ich möchte euch auch noch auf eine Stärke hinweisen, die ihr selbst gar nicht als solche erkennt. Ihr seid die erste Generation der gesamten Menschheitsgeschichte, die kein Leben ohne das Internet kennt. Es war in eurem Leben schon immer selbstverständlich, dass jede Information immer und überall verfügbar ist, dass das Wissen der Welt sofort abrufbar ist, dass es eine Community gibt, die nie schläft.

Ihr seid es gewohnt, Wissen immer zu teilen, sei es noch so banal (Bilder vom Eisbecher oder der Bahnhaltestelle). Eure Chefs haben noch nicht alle verstanden, dass die Fähigkeit, Wissen zu teilen, unendlich wertvoll ist. Damit wird der Begriff „Herrschaftswissen“ irgendwann verschwinden.

Und jetzt passt bitte auf: für viele eurer älteren Vorgesetzten ist das eine Horrorvorstellung. Der eigene Informationsvorsprung war viele Jahre der Schlüssel zum Machterhalt. Jetzt stellt euch bitte die Panik vor, wenn ihr das alles in Frage stellt und es noch nicht mal merkt, weil es so normal ist. Seid also ein bisschen achtsam. Nicht jeder wird mit eurer etwas unbekümmerten Art sofort umgehen können.

Wenn wir schon gerade dabei sind, eure Position zu stärken, kommt hier noch eine sehr wichtige Information. In der Altersgruppe zwischen 30 und 60 Jahren haben wir in Deutschland von 2005 bis 2015 1,2 Mio. Menschen verloren.

Die sind einfach rausgewachsen, und es kommen weniger von unten nach. Das führt uns heute bereits in sehr vielen Betrieben zu einem kritischen Engpass an guten Mitarbeitern. In den Jahren 2015 bis 2025 werden es nochmal 2,8 Mio. weniger sein. Das wird zu einer dramatischen Lücke führen.

Das bedeutet, die Guten und auch die Mittelmäßigen von euch werden sich niemals Sorgen um den Job machen müssen. Ihr werdet so unglaublich dringend gebraucht da draußen. Die Welt dreht sich um euch. Unternehmen werden sich bei euch bewerben. Macht was draus!

Liebe Generation Y, macht bitte so weiter und lasst euch nicht verbiegen, passt euch nicht an, lasst die anderen sich euch anpassen. Aber passt ein bisschen auf. Viele von euch sind sehr behütet aufgewachsen (immerhin hat eure Elterngeneration den Begriff Helicopter-Eltern hervorgebracht) und ahnen nichts Böses. Ihr verlangt euren zukünftigen Arbeitgebern viel ab. Nicht alle finden das witzig.

Ich mag euch!

Euer Prof. Dr. Ingo Markgraf

Quelle: Businessinsider

 

Fazit

Es gibt viele Möglichkeiten, den Konflikt anzugehen und Lösungswege zu finden. Es gibt bereits Praxen und Kliniken, die sich der Situation erfolgreich gestellt haben. Mit Ansätzen aus anderen Branchen oder auch ganz neuen Ansätzen haben Sie es geschafft, attraktive Arbeitgeber zu werden und die Generationen an einen Tisch zu bringen.

Möchten Sie mehr über das Thema erfahren oder suchen Sie einen kompetenten Ansprechpartner, um das Thema „moderner Arbeitgeber“ zu Ihrem Vorteil auszubauen, melden Sie sich gerne bei mir – ich freue mich.

 

Kim Middeldorf / Foto privat

Über die Autorin:

Seit 2004 ist Kim Middeldorf in der Tiermedizin tätig – erst als praktische Tierärztin in der Pferdefahrpraxis, dann wechselte sie 2014 in eine Unternehmensberatung für Tierärzte, die zu einem späteren Zeitpunkt Teil einer großen internationalen Klinikgruppe wurde.

 

Gast

Hierbei handelt es sich um einen Gastartikel. Informationen über den jeweiligen Autor / die jeweilige Autorin entnehmen Sie bitte dem Text.

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