
Arbeitszeitgestaltung
Erschienen im bpt-Mitteilungsblatt des ganzen Nordens, Ausgabe 2/2019
Das Thema „Arbeitszeitgestaltung in der Tiermedizin“ gewinnt immer mehr an Brisanz. Die Abgabe des Klinikstatus, empfindliche Bußgelder durch die Aufsichtsbehörden und die Klagen der „übriggebliebenen“ Mitarbeiter dominieren die Fachpresse.
Insbesondere die Überprüfung durch die Aufsichtsämter setzt die Branche unter Druck.
„Tierärzte haben doch schon immer 70 Stunden und mehr pro Woche gearbeitet. Wieso ist das plötzlich ein Problem?“ Diese und ähnliche Aussagen sind aus der Tierärzteschaft zu vernehmen. Insbesondere Praxisinhaber sind häufig irritiert.
Dazu lässt sich sagen, dass die Branche der Tiermedizin über viele Jahre hinweg „unter dem Radar“ geflogen ist. Die Aufmerksamkeit der Behörden wurde erst mit der zunehmenden Digitalisierung geweckt. Mittlerweile werden die Betriebe zur Überprüfung von Arbeitsschutz und Arbeitszeitgesetz per Zufallsgenerator festgelegt. Bei diesem Prozess sind natürlich auch Tierarztpraxen und -kliniken überprüft worden. Zum Entsetzen der Behörden mit katastrophalen Ergebnissen.
Dies hat dazu geführt, dass in verschiedenen Landkreisen mittlerweile systematische Überprüfungen von Tierärzten durchgeführt werden. Die Höchststrafen in diesem Zusammenhang lagen bisher bei 15.000€ und wurden bereits mehrfach verhängt.
Natürlich führen auch Anzeigen von ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern zu entsprechenden Überprüfungen.
Ein Problem für die Branche liegt in dem Status des Tieres vor dem Gesetz. Im Gegensatz zur Humanmedizin, in der es Ausnahmeregelungen vom Arbeitszeitgesetz gibt, steht in der Veterinärmedizin das Wohl des Mitarbeiters über dem Wohl des Patienten. Dies führt dazu, dass eine Tierarztpraxis in Bezug auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes mit anderen nicht-medizinischen Betrieben gleichgesetzt wird.
Der Ablauf einer Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde:
Im Rahmen einer regulären Überprüfung fordert die Behörde die Tierarztpraxis für gewöhnlich vorab schriftlich auf, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter in maschinenlesbarer Form zur Verfügung zu stellen. In der Regel über einen Zeitraum von 3 Monaten.
Bemerkung: Bisher galt die Regelung, dass lediglich Überstunden dokumentiert werden müssen. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 steht fest: Die EU-Staaten müssen Arbeitgeber verpflichten, jede Arbeitsstunde ihrer Mitarbeiter genau zu erfassen.
Die Behörde sichtet diese Unterlagen und vereinbart dann häufig einen Termin zum persönlichen Gespräch, um die Auswertung im Detail zu besprechen. Einsicht und die Ankündigung konkreter Maßnahmen sind bei diesem Gespräch sehr hilfreich, denn die Festsetzung des Bußgeldes obliegt dem Sachbearbeiter.
Führt eine Anzeige zu einer Überprüfung, erfolgt diese unter Umständen auch unangekündigt und in Persona vor Ort.
Die Folgen der Überprüfung hängen natürlich stark von der Massivität der Verstöße ab. Neben Bußgeldern erfolgt nicht selten die Auflage, in Zukunft die Arbeitszeiten digital zu erfassen und die Daten regelmäßig an die Behörde weiterzuleiten.
Einhergehend mit dem Arbeitszeitgesetz überprüfen die Behörden auch die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes. Auch hier haben viele Praxen massiven Nachholbedarf und geraten in den Fokus der Behörden.
Aus diesem Grund wird die Arbeitszeitgestaltung auch zunehmend zum Wettbewerbsfaktor im Kampf um die verfügbaren Fachkräfte im Bereich der Tierärzte und TMFA.
Umso wichtiger ist die praktische Umsetzung im Alltag mittels eines funktionierenden Dienstplans.
Das Problem ist häufig gleich: Jeder Dienstplan wird kurz nachdem er veröffentlicht wurde kritisch beäugt, diskutiert, beanstandet und in einigen Fällen gleich wieder neu geschrieben.
Warum ist das so und was muss ich bei der Dienstplanung beachten?
Die Anforderungen an einen Dienstplan sind vielfältig
Dienstplanung klingt für Viele nicht sehr spannend oder herausfordernd.
Allerdings sollten beim „Füllen“ des Dienstplans bzw. der Zuteilung der Mitarbeiter in den Dienstplan verschiedene Kriterien beachtet werden, die das Schreiben eines Dienstplans oft sehr komplex werden lässt.
- Gesetzliche Regelungen
Zuerst einmal sind in der Dienstplanung gesetzliche Regelungen zu berücksichtigen. Dinge wie Ruhezeiten, maximale Arbeitszeit, Pausenlänge und vieles andere mehr sind zu beachten.
Daher die wichtigsten Regelungen im Überblick:
- Das ArbSchG erlaubt 8 Stunden tägliche Arbeitszeit. Diese kann verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Monaten / 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden nicht überschritten werden.
- Bei einer Arbeitszeit von 6 – 9 Stunden muss den MA eine Pause von 30 Minuten eingeräumt werden. Diese darf in Abschnitte von 15 Minuten unterteilt werden. Bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden muss der MA mind. 45 Minuten Pause machen.
- Zwischen den einzelnen Diensten soll eine Ruhezeit von mind. 11 Stunden liegen.
- Die werktägliche Arbeitszeit in der Nacht darf 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 10 Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von einem Kalendermonat oder innerhalb von 4 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden nicht überschritten werden (§ 6 ArbZG).
Immer wieder zu Diskussionen führt in der 24/7 Praxis die Regelung des Nachtdienstes. Daher noch einmal die Definitionen von Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft:
- Bereitschaftsdienst leistet ein Mitarbeiter, der sich außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf unverzüglich seine Arbeit aufzunehmen.
- Arbeitsbereitschaft ist die „Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung“ an einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort. (z.B. Übernachtung in der Klinik während des Bereitschaftsdienstes)
- Rufbereitschaft (auch Hintergrunddienst genannt) leistet ein Mitarbeiter, wenn er verpflichtet ist, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit auf Abruf die Arbeit aufzunehmen, sich aber an einem beliebigen Ort aufhalten darf. Der Mitarbeiter muss lediglich für den Arbeitgeber erreichbar sein (z.B. über das Handy) und kurzfristig seine Arbeit bei Bedarf aufnehmen können.
Die Unterscheidung ist deswegen so wichtig, da Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft als volle Arbeitszeit gelten, während bei der Rufbereitschaft nur die tatsächlich geleistete Arbeit als Arbeitszeit gerechnet wird. Bereitschaftszeit und Arbeitsbereitschaft müssen dabei mit dem Mindestlohn oder einem höheren Lohn vergütet werden.
Gerade die Einhaltung der Ruhezeit führt in vielen Tierarztpraxen zu Problemen. Ein Mitarbeiter, der in der Nacht zu einem Einsatz gerufen wurde, kann in der normalen Tagschicht nicht mehr eingesetzt werden. Dies gibt die Personaldecke vieler Praxen und Kliniken jedoch nicht her. Durch den massiven Fachkräftemangel ist es selbst bei dem Willen mehr Mitarbeiter zu beschäftigen dies trotzdem kaum umsetzbar.
Die Lösungen hier können sein, sich entweder mit Kollegen zu einem funktionierenden Notdienstkreis zusammen zu schließen, um die nächtliche Belastung für die Praxis zu minimieren, oder eine auf Analysen basierende Dienstplangestaltung zu etablieren. Welche Daten hierzu nötig sind, wird im folgenden Verlauf näher betrachtet.
- Qualifikationen
Verschiedene Arbeiten bzw. Arbeitsbereiche erfordern spezielle Qualifikationen oder Schulungen der Mitarbeiter, sodass nicht immer jeder Mitarbeiter jeden anderen ersetzen kann. An bestimmten Tagen ist vielleicht der erfahrene Kollege eine bessere Besetzung als der Anfangsassistent.
Wer zu welcher Schicht passt ist also oft nicht trivial und aus dem Bauch heraus zu entscheiden.
- Betriebliche Regelungen und Arbeitsverträge
Arbeitsvertraglich festgehaltene Arbeitszeiten sollen eingehalten werden. Vielleicht gibt es für einzelne Mitarbeiter sogar individuelle Vereinbarungen, die von den gesetzlichen Regelungen abweichen?
Dies ist durchaus zulässig. Z.B. können die Fristen für den Ausgleich von Überstunden mittels Betriebsvereinbarung flexibler gestaltet werden.
- Abwesenheiten, Urlaub, Fortbildung etc.
Als wären die Punkte 1-3 nicht schon umfangreich genug, kommen oft mehr oder weniger lange im Voraus bekannte Abwesenheiten der Mitarbeiter hinzu. Ist der Azubi in dieser Woche in der Schule, wie lange ist Frau Müller noch krank und wann kommt Herr Meier aus dem Urlaub?
Wer die Herausforderung liebt, geht zusätzlich auf Wünsche der Mitarbeiter ein und ermöglicht flexible Arbeitszeiten, die oft mit hohem (Verwaltungs-) Mehraufwand verbunden sind, jedoch für die Mitarbeiterzufriedenheit sehr wichtig sind.
Jeder, der schon einmal einen Dienstplan erstellt hat, kennt diese Anforderungen und das damit verbundene Leid. Man kann sich oft noch so viel Mühe geben – am Ende wurde irgendwo eine Abwesenheit vergessen, ein Mitarbeiter wurde kurzfristig krank oder ein anderer Flüchtigkeitsfehler begangen und schon stürzt das gerade errichtete Kartenhaus schon wieder zusammen.
Um dies zu verhindern, sollte man eine strategische Dienstplangestaltung vorziehen. Folgende Schritte sollten dabei berücksichtigt werden:
- Ermittlung der Arbeitsauslastung durch statistische Analyse der Praxissoftware (Zu welchen Tageszeiten und an welchen Wochentagen besteht die höchste Auslastung? Gibt es saisonale Unterschiede?)
- Besetzung festlegen (Wer wird tatsächlich wann benötigt?)
- Stellenbeschreibungen festlegen (Wer verfügt über welche Fähigkeiten und wer ist für was verantwortlich?)
- Ermittlung der Nettoarbeitszeit, also die tatsächlich verfügbare Arbeitszeit abzüglich Urlaub, Fortbildung und durchschnittlicher Krankentage
- Abgleich des Besetzungsplans mit der verfügbaren Nettoarbeitszeit
- Berücksichtigung der Mitarbeiterwünsche
- Im Rahmen der Fahrpraxis ergibt sich natürlich noch der Faktor der Tourenplanung. Hier ergibt die Analyse häufig eine hohes Optimierungspotential
- Dienstplan erstellen (idealerweise in digitaler Form und direkter Verknüpfung mit der Arbeitszeiterfassung)
Mindestens zweimal im Jahr sollte die Wirksamkeit des Dienstplanes überprüft werden. Dazu sollten die angefallenen Überstunden und Fehlbesetzungen analysiert werden. Hier zeigen sich die Schwachstellen im Dienstplan und es kann über eine Lösung nachgedacht werden. Dabei ist es hilfreich sich auch Ideen von den betroffenen Mitarbeitern zu holen. Diese haben oft den besten Einblick in die Schwachstellen.
Es wird also deutlich, dass die Anforderungen sehr anspruchsvoll sind. Die Branche hat zusätzlich mit einem hohen Fachkräftemangel zu kämpfen. Eine positive Work-Life-Balance ist den potentiellen Mitarbeitern zunehmend wichtig. Bereits im Vorstellungsgespräch kommt nicht selten die Dienstplangestaltung von Seiten des Bewerbers zur Sprache.
In der Branche gibt es nicht viele Tierarztpraxen oder -kliniken, die gezielt ihre Arbeitgebermarke entwickeln.
Ist eine Praxis in der Lage eine geregelte Dienstplangestaltung und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu gewährleisten wird das Arbeitgeberimage positiv beeinflusst und kann als Alleinstellungsmerkmal im Rahmen der Arbeitgebermarke genutzt werden.
Hinweis von VetStage: Seit 2017 besteht die Möglichkeit, über VetStage nicht nur eine Arbeitszeiterfassung durchzuführen, sondern auch eine moderne Schicht- und Abwesenheitsplanung. Lernen Sie unsere cloud-basierte Personalverwaltungs-Software kennen: https://www.vetstage.de/personalverwaltung
Über die Autorin
Birte Hegge, IVP Akademie
- Institut für Veterinärökonomie & Praxismanagement, Osnabrück
- B.sc. Wirtschaftspsychologie mit Spezialisierung auf Organisation und Personal
- Praktische Erfahrungen als Praxismanagerin in einer Gemischtpraxis
- Praktische Erfahrungen als Klinikmanagerin in einer Pferde- und Kleintierklinik
- Zertifizierte Datenschutzbeauftragte