Fachbeitrag
Ein Beitrag von  Dipl. Ing. agr. Karin Kattwinkel,  Karin Kattwinkel auf VetStage

Geraderichten – Aktive Gesundheitsprophylaxe für jedes Reitpferd

erstellt am 8. Januar 2025

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Geraderichten – Aktive Gesundheitsprophylaxe für jedes Reitpferd

Jedes Wirbeltier ist von Natur aus schief. Was bedeutet, dass linke und rechte Körperhälfte weder symmetrisch noch gleich stark oder geschickt sind. Die Schiefe bedingt die so genannte Händigkeit – oder umgekehrt. Darüber streiten sich die Gelehrten ebenso wie über die Frage was zuerst da war, die Henne oder das Ei?

Für das Pferd spielt die Schiefe in der Natur keine große Rolle. Erst wenn es den Menschen auf seinem Rücken tragen soll, wird sie zum Problem bzw. zur Aufgabe, die es zu lösen gilt.

Ein Problem der Neuzeit?

Anders als zu der Zeit, als die H.Dv.12 (Heeresdienstvorschrift Nr. 12) – die als Grundlage der Richtlinien für Reiten und Fahren der FN gilt – geschrieben wurde, werden junge Pferde heute

nicht mehr vorwiegend im Gelände geradeaus, sondern in der Reitbahn und damit ständig auf gebogenen Linien angeritten und weiter ausgebildet. Außerdem wird kaum noch ein Reitpferd auch gefahren, wie es früher üblich war. Das Ziehen einer Last ist jedoch eine besonders effektive Methode zum Geraderichten, weil herbei beide Körperhälften gleichmäßig trainiert werden.

Nur das geradegerichtete Pferd kann sich zu beiden Seiten gleichmäßig in seiner Längsachse biegen

und erst dann ausbalanciert durch Links‑ wie Rechtswendungen laufen. Das schiefe Pferd dagegen belastet Wirbelsäule und Beingelenke durch vermehrte Flieh‑ und Scherkräften auf jeder Kreislinie unphysiologisch. Dabei gilt: je höher das Tempo und/oder je kleiner die Kreislinie, desto größer dabei der „Stress“ für die Gelenke und umso frühzeitiger entstehen entsprechende Verschleißerscheinungen“.

Wenn ein Tierarzt beobachtet, dass derselbe Reiter sein Pferd oder sogar verschiedene Pferde immer wieder auf derselben Vorhand „platt“ reitet, wären anstelle von „Reparaturarbeiten“ lieber mal einige Anregungen zu korrektem Geraderichten angebracht.

 

Das ist Geraderichten ist wichtige Voraussetzung für die Gesunderhaltung des Reitpferdes. Und deshalb muss jeder Reiter, der – wenn auch nur gelegentlich – eine Reitbahn oder eine Halle nutzt, wissen, wie Geraderichten funktioniert und dieses Wissen auch in die Tat umsetzen. Weil es so viele leider nicht wissen, sind Rückenprobleme bei Reitpferden, Rittigkeitsprobleme,

Taktstörungen, Lahmheiten und frühzeitiger Verschleiß zum „Normalfall“ geworden. Aber auch, wer nur im Gelände reiten möchte und der Meinung ist „es ist egal, ob mein Pferd schief ist oder nicht“, handelt unfair seinem Pferd gegenüber, denn mit dem zusätzlichen Gewicht auf seinem Rücken verschleißt ein nicht geradegerichtetes Pferd auch im Gelände schneller. Außerdem riskiert man Unfälle, denn schiefe Pferde sind nicht nur ungeschickter, sondern auch unrittiger und damit schlechter kontrollierbar.

 

Geraderichten ein lebenslanger Prozess

 

Es erfordert viel Know‑how, reiterliche Fähigkeiten und Geduld. Es endet nie, ist ein lebenslanger Prozess, weil das Pferd aufgrund seiner angeborenen Händigkeit immer wieder in die natürliche

Schiefe zurückfallen möchte. Nach jeder Trainingspause, jeder längeren Phase, in der der Schiefe wenig Beachtung geschenkt wird, tritt sie wieder mehr zutage. Selbst gute und erfahrene Reiter stellt das Geraderichten des Pferdes oft vor echte Schwierigkeiten.

Wer als Reiter noch nicht genügend Übung und Erfahrung, vor allem durch das Reiten vieler verschiedener Pferde, besitzt, sollte nur mit Anleitung am Geraderichten arbeiten. Auf jeden Fall braucht man beim geraderichtenden Gymnastizieren eines Pferdes ein Konzept. Ziel ist die Dehnungsfähigkeit der kürzeren Seite zu verbessern, seine schwache Seite zu stärken. Gleichzeitig soll seine Händigkeit durch Training abgemildert werden. Es soll geschickter auf beiden Seiten werden.

In der täglichen Praxis sieht man jedoch oft durch alleiniges „Stellen über die Hand“ regelrecht schief gezerrte Pferde, die auf ihrer hohlen Seite so verspannt sind, dass daraus Taktunreinheiten bis hin zur Zügellahmheit und schließlich echte Lahmheiten entstehen. „Über 80 % der Pferde, die zur Behandlung bei uns vorgestellt werden, sind Opfer nicht gekonnten Geraderichtens. Anstatt die kurze Seite kräftiger und  „länger“ zu machen, reiten fast alle Reiter die starke Seite „kürzer“, indem sie die latente Außenstellung, die einem ein nicht geradegerichtetes Pferd vermittelt, wenn sich die hohle Seite außen befindet, über Stellen im Hals zu korrigieren versuchen.“ sagt Karin Kattwinkel, Pferdegesundheitstrainerin. „wir hatten schon Pferde bei uns im Pferdegesundheitszentrum, die selbst am Stallhalfter kaum noch eine Volte gehen konnten, sondern sich eher wie ein „Baumstamm“ auf einer Kreislinie bewegten.

 

Meist beginnt das Desaster schon vor dem ersten Reiten, nämlich wenn junge Pferde mit über Hilfszügel fixiertem Hals (und damit auch Rücken) in viel zu hohem Tempo an der Longe „geschleudert“ werden, anstatt sie über sinnvolle Bodenarbeit langsam auszubalancieren und beidseitig geschickt und kräftig werden zu lassen.

Die Beingelenke eines Pferdes sind ebenso wenig für seitliche Verschiebungen gebaut wie alle Wirbelgelenke. Schäden durch Fliehkräfte (wenn die hohle Seite innen ist) und Scherkräfte (wenn die hohle Seite außen ist und die Hinterhand mit festem Rücken nach außen „wegschmiert“ anstatt spurgetreu zu fußen) sind vorprogrammiert.

 

Was dem Reiter eines schiefen Pferdes auffällt

… wenn seine hohle Seite innen ist

 

• Das Pferd lässt sich hier leichter stellen und biegen. Die hohle Seite fühlt sich beim Reiten „geschmeidiger“ an.

• Aber auf dem Zirkel und in den Wendungen (auch in den Ecken) driftet das Pferd über die Schulter nach außen.

• Es fällt auf die äußere Schulter. (Je nach Untergrund können Sie das sogar hören.)

• Es stützt sich vermehrt außen am Gebiss ab. Dadurch wird das Gebiss oft außen seitlich aus dem Maul herausgezogen.

• Es galoppiert beim Reiten in Richtung seiner hohlen Seite schlechter, springt auch schon mal im Außen‑ oder Kreuzgalopp an.

• Die Hinterbeine schwingen nicht gleichmäßig durch. Es kommt zu Taktfehlern. Das fühlen Sie – und sehen Sie auch bei anderen – vor allem im Trab, am besten in den Verstärkungen.

 

… wenn seine hohle Seite beim Reiten außen ist

 

• Auf dem Zirkel und in den Wendungen (vor allem, wenn außen keine Begrenzung ist, wie z.B. an der offenen Zirkelseite) schaut das Pferd nach außen. Es stellt und biegt sich entgegen der Laufrichtung.

• Hier galoppiert es besser, lieber und ausdauernder (weil hier der äußere Hinterfuß besser trägt und gleichzeitig die innere Schulter freier ist).

• Das Pferd vermittelt Ihnen ein „stabileres“ Gefühl. Es erscheint zwar weniger biegsam, aber „driftet “ unter Ihnen nicht nach außen. Sehr schiefe Pferde driften allerdings nach innen, „fallen“ dem Reiter regelrecht gegen den inneren Schenkel.

• Es lässt sich schlecht an den äußeren Zügel reiten. Sie bekommen außen keine stetige, weiche Verbindung zum Pferdemaul. Eventuell schlackert der äußere Zügel sogar öfter.

• Wenn Sie auf eine Diagonale abbiegen, wird das Pferd versuchen, die Diagonale abzukürzen, damit es so schnell wie möglich wieder in Richtung seiner Biegung laufen kann.

• Auch wenn Sie aus dem Zirkel wechseln, wird es deshalb versuchen, die alte Zirkellinie abzukürzen.

 

… wenn es geradeaus läuft

 

• Auch hier kann es zu Taktfehlern kommen.

• Das Pferd stellt sich von selbst gerne zu seiner hohlen Seite.

• Die Hinterbeine laufen nicht spurtreu.

 

Daran erkennen Sie die Schiefe im fortgeschrittenen Ausbildungsstadium

• Verwerfen im Genick

• kein gleichmäßiger „Durchsprung“ im Galopp

• Halten mit einem vorstehenden Vorder‑ und/oder einem nach hinten herausstehenden Hinterbein (beim Linkshänder meist das rechte)

• keine korrekte Versammlung (da Kraft, Geschmeidigkeit und Beweglichkeit der Gelenke auf beiden Seiten unterschiedlich sind, ergeben sich immer Taktprobleme)

• Probleme in Fliegenden Galoppwechseln (zur händigen Seite problemlos, zur hohlen Seite mit Nachspringen der Hinterhand oder Kreuzgalopp)

• Piaffen und Passagen mit Taktfehlern 

• Kein reelles und konstantes „Durchs‑Genick‑Gehen“

• Biegungen zu einer Seite fallen dem Pferd immer noch schwer

• Seitengänge funktionieren immer in eine Richtung besser, Kurzkehrt, Hinterhandwendungen, Galopp‑Pirouetten werden zu einer Seite immer größer und/oder „hakeln“

• Das Pferd zeigt keine reelle Durchlässigkeit

 

Wie funktioniert nun korrektes Geraderichten?

Ein schiefes Pferd müssen Sie auf seiner hohlen Seite anders reiten als auf seiner händigen Seite. Das ist der allerwichtigste Grundsatz! Wenn die hohle Seite des Pferdes außen liegt,

müssen Sie immer bestrebt sein, die äußere Seite „länger“ zu machen, nicht die innere „kürzer“! Das geht nur über Schenkel und Sitz in Verbindung mit einer korrekten Dehnungshaltung.

Reiten Sie Ihr Pferd zunächst auf seiner hohlen Hand (hohle Seite innen). Dann befindet sich die händige Seite des Pferdes außen. Hier erfühlen Sie die Güte des Kontakts am äußeren

Zügel, um ermessen zu können, wie es sich später auch auf der anderen Seite, also wenn die hohle Seite außen ist, anfühlen soll. Denn dort, auf seiner verkürzten Seite, wird das

Pferd Schwierigkeiten haben, sich an den äußeren Zügel heranzudehnen.

 

Trainingsanleitung für ein rechts hohles Pferd

Achtung: Nur für diese Trainingsanleitung gilt ausnahmsweise „innen“

und „außen“ immer im Bezug auf die Orientierung in der Reitbahn

und nicht in Bezug auf Stellung Biegung

des Pferdes. Mit „außen“ ist also im Folgenden „zur Bande

hin“ gemeint, mit „innen“ „zur Mitte der Reitbahn hin“.

Beginnen Sie im Schritt auf der hohlen Seite (auf der rechten Hand) mit

einem Zirkel. Am besten geeignet ist der Mittelzirkel, weil dieser nur

wenig äußere Begrenzung bietet und damit ein später notwendiges

Nach‑Ausen‑Stellen erleichtert, was im Verlauf der Übung wichtig ist.

Wo es aufgrund von Mitreitern in der Bahn nicht möglich ist, auf

dem Mittelzirkel zu reiten, reiten Sie den Zirkel etwas kleiner, damit

Ihnen nach außen hin etwas mehr Raum zur Bande bleibt.

Wenn Sie Ihr Pferd auf seiner hohlen Seite reiten, werden ihm Innenstellung

und Biegung leicht fallen. Stimmen Sie sich auf den Rhythmus

des Pferdes ein. Dann beginnen Sie in der Vorstellung rückwärts Fahrrad

zu fahren, wobei Sie automatisch Ihren Schwerpunkt leicht nach

hinten verschieben. Dadurch wird Ihr Pferd etwas langsamer und Sie

kommen besser zum Treiben.

Entwickeln Sie Ihre eigene und die Aufrichtung

des Pferdes durch das innere

Bild, Ihr Pferd vor dem Widerrist größer

werden zu lassen. Dadurch sitzen Sie

sofort

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Dipl. Ing. agr. Karin Kattwinkel

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