
Parallele Herausforderungen in Human- und Tiermedizin
erstellt am 1. April 2025
Arbeitsbedingungen in Medizin und Veterinärmedizin
Ärztinnen und Ärzte ebenso wie Tierärztinnen und Tierärzte sehen sich mit hohen Arbeitsbelastungen konfrontiert. In deutschen Kliniken klagen junge Humanmediziner über Überlastung, Schlafmangel und zu wenig Zeit für Patienten, und alarmierende 70 % zeigen bereits Anzeichen von Burnout Ähnlich herausfordernd ist der Alltag in der Tiermedizin: Lange Arbeitszeiten, hoher Leistungsdruck und vergleichsweise geringe Bezahlung gehören zum Berufsalltag von Tierärzt:innen. Zusätzlich belasten in der Veterinärmedizin Faktoren wie der häufige Umgang mit dem Tod von Patienten und teils anspruchsvolle Tierhalter die Psyche. Beide Berufsgruppen berichten, dass Überstunden und Personalmangel zum Alltag gehören, beispielsweise machen 38 % der angestellten Tierärzt:innen „zu viele Überstunden“ und ein Drittel beklagt Termin- und Zeitdruck sowie fehlende personelle Unterstützung In der Humanmedizin sind Überstunden und chronische Übermüdung ebenfalls weit verbreitet, oft ohne vollen Ausgleich. Die Folgen sind Frustration, Fehler und im schlimmsten Fall steigende Burnout- und Unfallrisiken, so führen Übermüdung zunehmend zu Behandlungsfehlern, die vermeidbar wären. Insgesamt stoßen die Arbeitsbedingungen in beiden Bereichen immer wieder an die Grenzen des Zumutbaren, was die Berufszufriedenheit senkt und den Nachwuchs abschrecken kann.
Fachkräftemangel und Nachwuchsprobleme
Sowohl im humanen Gesundheitswesen als auch in der Tiergesundheitsversorgung verschärft ein Fachkräftemangel die Situation. In beide Bereichen drohen, besonders in ländlichen Regionen, Versorgungslücken, da immer weniger junge Ärzt:innen bereit sind, sich dort niederzulassen. Haus-, Kinder-, Tierarztpraxen auf dem Land finden oft keine Nachfolger, was die flächendeckende 24/7-Versorgung gefährdet. Obwohl die absolute Zahl der Ärzte in Deutschland steigt, bleibt die verfügbare „Arztzeit“ pro Patient knapp, ein paradoxes Phänomen!
In der Tiermedizin zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte warnt, dass die flächendeckende Versorgung von Haus- und Nutztieren in Gefahr geraten könnte, da vielerorts Tierärztemangel herrscht. Insbesondere geben immer mehr Tierkliniken den kostspieligen 24/7-Notdienst auf, was für Tierhalter, v.a. in ländlichen Gebieten, deutlich längere Wege im Notfall bedeutet. Dabei mangelt es nicht unbedingt an Absolventen: 2020 schlossen in Deutschland ca. 1.500 Studierende erfolgreich ihr Veterinärmedizin-Studium ab, so viele wie lange nicht mehr. Das Problem liegt vielmehr darin, dass viele junge (Tier-)Mediziner nicht Vollzeit arbeiten wollen und einen Großteil der Arbeit auf Teilzeitkräfte verteilt wird. Es fehlt nicht an (Tier-) Ärzten:innen, aber an Arbeitsstunden!
Diese Entwicklung, kombiniert mit zahlreichen Altersabgängen (viele Land(tier-)ärzt:innen gehen in Rente), lässt mancherorts in ländliche Gegenden echte Versorgungslücken entstehen In beiden Professionen sind sich Verbände und Politik einig, dass kreative Lösungen zur Fachkräftegewinnung und neue Arbeitsmodelle in der (Tier-)Medizin nötig sind, um die Grundversorgung auch künftig zu sichern.
Rückgang inhabergeführter Praxen und Selbstständigkeit
Eng verbunden mit dem Fachkräftemangel ist der Trend weg von der Selbstständigkeit. Immer weniger junge (Tier-)Medizinier in Deutschland wollen eine eigene Praxis führen, die klassischen Einzelpraxen gehen zurück. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung sind immer weniger Mediziner bereit, sich als Vertragsärzt:innen niederzulassen, insbesondere im ländlichen Raum. Niedergelassene Hausärzte berichten zunehmend von Schwierigkeiten, einen Praxisnachfolger zu finden. Die Gründe dafür sind vielfältig: unter anderem schrecken die strikte Budgetierung der Leistungen, wachsende bürokratische Anforderungen und eine oft schwache Infrastruktur ab. Viele junge Ärzt:innen bevorzugen stattdessen ein Angestelltenverhältnis in Medizinischen Versorgungszentren oder Kliniken. Parallel vollzieht sich in der Tiermedizin derselbe Wandel. Viele junge Tierärztinnen und Tierärzte wollen keine eigene Praxis mehr eröffnen, sondern lieber angestellt arbeiten. Der Anteil der angestellten Tierärzte in Deutschland lag 2022 bei rund 47,6 %, elf Prozentpunkte mehr als zehn Jahre zuvor! Entsprechend steigt die Zahl der Praxisbetriebe, die keinen Nachfolger:in finden: Fälle, in denen (Tier-)Ärzt:innen ihre gut laufende Landpraxis mangels Übernehmer schließen müssen, sind keine Seltenheit mehr! Dieser Rückgang inhabergeführter Praxen hat Folgen: zum einen übernehmen häufig größere Ketten oder Klinikkonzerne Praxen, was die traditionelle Freiberuflichkeit der Heilberufe verändert. Zum anderen geht der persönliche Charakter mancherorts verloren, und insbesondere in ländlichen Gebieten kann die Versorgung leiden, wenn niemand die Nachfolge antritt. Human- und Veterinärmedizin stehen also gleichermaßen vor der Aufgabe, die Niederlassung wieder attraktiv zu machen, durch bessere Rahmenbedingungen, finanzielle Planungssicherheit und Unterstützung bei Verwaltung und Investitionen. Andernfalls droht ein struktureller Praxen-Schwund (“Praxensterben”), der die Gesundheitsversorgung von Mensch und Tier beeinträchtigen könnte!
Digitalisierung und Dokumentationspflichten
Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen bringt sowohl Chancen als auch erhebliche Dokumentations- und Bürokratielasten mit sich. (Tier-)Ärzt:innen beklagen zunehmend, dass immer mehr Zeit für Verwaltung und Dokumentation draufgeht und immer weniger für die eigentliche Patientenbehandlung bleibt. In deutschen (Tier-)Arztpraxen und Kliniken summieren sich Bürokratie, Abrechnungsdokumentation, Qualitätsberichte und die Anforderungen der Telematikinfrastruktur. Die Kassenärztliche Vereinigung warnt vor „überbordender Bürokratie“ und fordert deren Abbau, damit Ärzte und Mitarbeitende sich wieder primär um die Patientenversorgung kümmern können. Ähnliche Klagen hört man aus der Tierärzteschaft: Neue gesetzliche Vorgaben haben den Dokumentationsaufwand spürbar erhöht – ein Beispiel ist das Tierarzneimittelgesetz (TAMG) 2022, das umfangreiche Aufzeichnungspflichten über Arzneimitteleinsätze und Einschränkungen vorsieht. Tierärztliche Bestandsbetreuer müssen z.B. für Antibiotikaeinsätze in landwirtschaftlichen Betrieben detaillierte Meldungen abgeben; sogar digitale Datenbanken (HIT-Datenbank) müssen kontinuierlich gefüttert und gepflegt werden, was einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand bedeutet. Was demnächst auch tierärztliche Behandler von Pferden und Haustiere droht. In Summe fühlen sich viele Praktiker beider Berufsstände als “Vorgabenabarbeiter”, die mehr am Computer als am Patienten stehen. Diese Bürokratisierung mindert die Attraktivität der freien Praxis und ist mit ein Grund, warum Festanstellung (mit abnehmender administrativer Last) beliebter wird. Verbände fordern daher eine praxisgerechte Digitalisierung: z.B. Software und E-Health-Lösungen, Telemedizin, die wirklich Zeit einsparen, anstatt neue Bürokratietools aufzuzwingen. Gelingt es, die Dokumentationspflichten intelligenter zu gestalten, könnte das die Zufriedenheit bei Human- und Veterinärmedizinern deutlich steigern und wieder mehr Fokus auf die eigentliche heilberufliche Arbeit erlauben.
Einsch
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Christian J. GabrielseEin interessanter Beitrag. Teile ihn jetzt mit deinem Netzwerk.